Das Wahlverhalten von Deutschen mit Migrationshintergrund: Die erste Migrantenwahlstudie anlässlich der Bundestagswahl 2017

Von Sabrina Jasmin Mayer (Universität Duisburg-Essen).

Im Oktober 2016 ist am Lehrstuhl für Empirische Politikwissenschaft das DFG-geförderte Drittmittelprojekt „Das Wahlverhalten von Deutschen mit Migrationshintergrund: Die erste Migrantenwahlstudie anlässlich der Bundestagswahl 2017“ gestartet. Das Projekt wird unter der Leitung von Prof. Dr. Achim Goerres und PD Dr. Dennis Spies (Cologne Center for Comparative Politics) durchgeführt und von der Projektmitarbeiterin Dr. Sabrina Mayer koordiniert. Ziel ist es, bis zum September 2019 die erste deutsche Wahlstudie unter deutschen Staatsbürger/innen mit Migrationshintergrund durchzuführen, d.h. unter solchen Personen, die entweder selbst nach Deutschland immigriert sind oder die mindestens einen Elternteil mit eigener Migrationserfahrung haben.

Aufgrund des stetig wachsenden Anteils von deutschen Staatsbürger/innen mit Migrationshintergrund, der mittlerweile bei knapp 8,7 Millionen der Wahlbevölkerung liegt, ist die Erforschung des Wahlverhaltens dieser wachsenden Bevölkerungsgruppe von erheblicher wissenschaftlicher und politischer Relevanz. Während zur Erklärung der Wahlbeteiligung von Migrant/innen bereits einige theoretische Erklärungsmodelle bestehen, fehlen theoretische Überlegungen zur Erklärung der konkreten Wahlentscheidung für eine Partei bislang fast völlig.

Bisherige Studien konnten aufgrund der geringen Fallzahlen oftmals nur wenig differenzierte Aussagen über das Wahlverhalten von deutschen Staatsbürger/innen mit Migrationshintergrund treffen, da hier oftmals verschiedene Migrationsgruppen und -generationen zusammengefasst werden mussten, keine multivariaten Analysen möglich waren oder sich die Analysen nur auf einzelne Bundesländer konzentrierten.

Ergebnisse von Studien, die auch politische Merkmale mit erhoben haben, konnten jedoch zeigen, dass es substanzielle Unterschiede in der parteipolitischen Ausrichtung gibt: So berichten 69,8 Prozent der türkeistämmigen Migranten in Deutschland eine Bindung an die SPD, während dies nur bei 25,6 Prozent der Spätaussiedler der Fall ist (SVR 2016: 13-14). Auch andere, bisherige Studien (Wüst 2004) zeigen die inhaltlichen Differenzen zwischen den einzelnen Migrantengruppen.

In anderen Ländern wurden migrantenspezifische Wahlstudien bereits durchgeführt, siehe beispielsweise der Ethnic Minority British Electoral Survey in Großbritannien.

Für die Wahlforschung stellen Wähler/innen mit Migrationshintergrund eine hoch relevante Zielgruppe dar, da sich ihre politische Sozialisation von den Erfahrungen der autochthonen Bevölkerung zum Teil deutlich unterscheidet. Wir konzentrieren uns aus forschungspraktischen Gründen auf die zwei bedeutendsten Migrantengruppen in Deutschland, deutsche Staatsbürger/innen mit türkischem Migrationshintergrund (etwa 1,3 Mio. Personen) und mit russischem/ex-sowjetischem Migrationshintergrund (etwa 2,4 Mio. Personen).

Wir möchten an die bisherigen Studien zum Wahlverhalten von Migrant/innen anknüpfen und eine Vielzahl von Sachverhalten, wie die Bedeutung von nationaler Identität, Diskriminierungserfahrung, ökonomischer Einschätzung, für Deutschland untersuchen. Ob etablierte Theorien der Wahlforschung, wie beispielsweise das sozialpsychologische Modell (Campbell et al. 1960), auch das Wahlverhalten von Deutschen mit Migrationshintergrund erklären können, oder ob dieses überwiegend von migrantenspezifischen Eigenschaften bestimmt wird, ist daher das zentrale Erkenntnisinteresse.

In der ersten Phase des Projekts, die im Januar gestartet ist, führen wir Fokusgruppeninterviews mit Staatsbürger/innen mit türkischem bzw. russischem/ex-sowjetischem Migrationshintergrund durch. Hierdurch werden wir genauere Einblicke in die Bedeutungsdimensionen nationaler Identität, der Bewertung der deutschen Außenpolitik gegenüber dem Herkunftsland und Themenorientierungen erlangen.

Diese Erkenntnisse werden anschließend für die Fragebogenentwicklung der quantitativen Phase genutzt. Hier führen wir zeitgleich mit der GLES-Nachwahlbefragung im November 2017 je 500 standardisierte, persönliche Interviews mit Staatsbürger/innen mit türkischem bzw. russischem/ex-sowjetischem Migrationshintergrund ab 16 Jahren durch.

Für die repräsentative Auswahl der Teilnehmer greifen wir auf ein komplexes Verfahren zur Stichprobenziehung zurück, das auf Auszügen aus den Melderegistern kombiniert mit einem onomastischen Verfahren beruht. Hierfür werden in einem ersten Schritt aus allen Gemeinden/Städten in Deutschland 150 Sample Points gezogen. Dafür wird die Ziehungswahrscheinlichkeit der Gemeinden mit der Anzahl der Einwohner gewichtet. Anschließend werden aus den Melderegistern Personenstichproben gezogen. Auf die Vor- und Nachnamen wird ein onomastisches Verfahren angewandt, das es ermöglicht, für jede Namenskombination eine Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, ob es sich dabei um eine Person mit türkeistämmigem bzw. ex-sowjetischem Hintergrund handelt.

Die Interviews erfolgen persönlich und können auf Wunsch der Befragten entweder auf Deutsch oder auf Russisch bzw. Türkisch durchgeführt werden. Aus anderen Befragungen ist bekannt, dass türkeistämmige Migranten zu einem sehr hohen Anteil eine Befragung in der Herkunftssprache bevorzugen (Sauer 2014: 14). Daher ermöglicht dieses mehrsprachige Erhebungsdesign erstmalig die repräsentative Analyse der wichtigsten Motive des Wahlverhaltens von Migrant/innen.

Erste Ergebnisse aus den Gruppendiskussionen werden wir im Frühsommer 2017 auf mehreren Konferenzen präsentieren und auch hier im Blog vorstellen.

 

Referenzen:

Campbell, Angus; Converse, Philip E.; Miller, Warren E.; Stokes, Donald E. (1960): The American Voter. New York.

EMBES: Ethnic Minority British Electoral Survey, online unter: http://www.sociology.ox.ac.uk/research/embes-the-ethnic-minority-british-election-study.html

Sauer, Martina (2014): Integrationsprozesse, wirtschaftliche Lage und Zufriedenheit türkeistämmiger Zuwanderer in Nordrhein-Westfalen. Ergebnisse der Mehrthemenbefragung 2013, online unter: http://zfti.de/downloads/bericht-nrw-2013_end.pdf

SVR-Forschungsbereich (2016): Schwarz, rot, grün – welche Parteien bevorzugen Zuwanderer? Berlin, online unter: https://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2016/11/PB_Parteipraeferenzen.pdf

Wüst, Andreas (2004): Naturalised Citizens as Voters. Behaviour and Impact. In: German Politics 13 (2). DOI: 10.1080/0964400042000229972.

2 Comments

  1. Guten Tag,
    ich bin Studentin der Universität Hindesheim und interessiere mich ebenfall sehr für das Thema. Gibt es möglicherweise schon Ergebnisse des Projektes ?
    Liebe Grüße
    Alina Kathrin

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