Von Teresa Hummler
Steigende Mieten – ein Problem, das die meisten Großstädter*innen kennen werden. Seit 2010 sind die Mietpreise für Wohnungen in deutschen Großstädten enorm gestiegen. Die Wohnungsmärkte dort sind zunehmend angespannt und rücken das Thema immer häufiger in den Mittelpunkt öffentlicher und politischer Debatten. Aktuell wird etwa ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verlängerung der Mietpreisbremse von 2015 bis 2028 diskutiert.
Steigende Mietpreise betreffen einen Großteil der deutschen Bevölkerung und können für viele Haushalte zu einem finanziellen Problem werden. Deshalb ist davon auszugehen, dass solche tiefgreifenden Entwicklungen auch Auswirkungen auf die politischen Einstellungen der Betroffenen haben.
Mietpreise in der Politikwissenschaft
In der politikwissenschaftlichen Forschung werden Wohnen und Wohnungspolitik zunehmend als wichtige Determinanten politischer Einstellungen und Verhaltensweisen betrachtet. Eine zentrale Aussage dieser Forschung ist, dass die lokalen Wohnungspreise für die Bürger*innen relevante und sichtbare Indikatoren für den Zustand der nationalen und lokalen Wirtschaft darstellen, an denen sie ihre politischen Einstellungen und ihr Verhalten ausrichten. Insbesondere wurde gezeigt, dass steigende Wohnungspreise mit einer höheren Unterstützung für amtierende Regierungen und mit einer geringeren Unterstützung für Umverteilungsmaßnahmen einhergehen. Die meisten dieser Studien konzentrieren sich jedoch auf Wohnungskaufpreise und Wohneigentum und lassen die Situation von Mieter*innen außer Acht. Dies ist insofern problematisch, als dass der Besitz von Wohneigentum und das Wohnen zur Miete zwei grundverschiedene Erfahrungen sind. Während Wohneigentum ein zusätzliches Vermögen darstellt, sind Mieten in erster Linie Kosten, die monatlich für ein Dach über dem Kopf aufgebracht werden müssen. Diese fundamental unterschiedlichen Erfahrungen sollten somit auch unterschiedliche Konsequenzen für die politischen Einstellungen von Wohneigentümer*innen und Mieter*innen haben.
Erste Studien zeigen Unterschiede zwischen Wohneigentümer*innen und Mieter*innen bezüglich Parteipräferenzen und der Unterstützung von Maßnahmen zur Mietpreisregulierung. Dennoch steht dieser Forschungszweig noch ganz am Anfang. Über die möglichen politischen Folgen von Mietpreissteigerungen ist wenig bekannt. Gerade für Länder wie Deutschland, in denen die Mehrheit der Bevölkerung zur Miete wohnt und die Wohneigentumsquote mit 42 % eher niedrig ist, sind diesbezügliche Erkenntnisse jedoch wichtig.
Erste Erkenntnisse aus der Umfrage „Leben im Viertel“
Um einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke zu leisten, wurden Daten aus der politikwissenschaftlichen Umfrage „Leben im Viertel“ (LiV) mit kleinräumigen Daten zu Mietpreisen für Wohnungen in Deutschland kombiniert und analysiert. Die LiV-Umfrage untersucht verschiedene mitunter politische Einstellungen und wurde im Herbst 2022 in vierzig Nachbarschaften in zehn deutschen Großstädten durchgeführt. Die verwendeten Mietpreis-Daten umfassen die durchschnittlichen monatlichen Kaltmieten in €/m² aller Wohnungen, die auf der Internetplattform ImmobilienScout24 in Deutschland im Jahr 2010 bzw. 2022 inseriert waren. Über die Postleitzahlen, die sowohl für die Befragten der LiV-Umfrage als auch für die inserierten Wohnungen vorliegen, wurden die beiden Datensätze zusammengeführt.
Aus diesen Daten sind die Mietpreissteigerungen in den deutschen Großstädten seit 2010 deutlich erkennbar. In allen Nachbarschaften der zehn Städte ist ein Anstieg der monatlichen Kaltmiete um durchschnittlich 4,84 €/m² zu verzeichnen. Am niedrigsten ist der Anstieg mit 1,81 €/m² in den Nachbarschaften in Halle an der Saale, am höchsten mit 7,94 €/m² in den Nachbarschaften in Berlin.
Ziel einer ersten Analyse dieser Daten ist es, zu untersuchen, ob der Anstieg der monatlichen Mietpreise einen Einfluss auf eine bestimmte politische Einstellung der Befragten hat. Bei dieser Einstellung handelt es sich um die politischeZufriedenheit, konkret um die Zufriedenheit mit der lokalen öffentlichen Verwaltung. In Zeiten wachsender Unzufriedenheit mit der Politik ist es wichtig zu analysieren, welche Faktoren und Entwicklungen dazu beitragen können. Da es sich bei der lokalen öffentlichen Verwaltung um einen politischen Akteur handelt, mit dem Bürger*innen regelmäßig in direkten Kontakt kommen, ist die Zufriedenheit mit ihr von besonderer Relevanz. Denn: wenn Bürger*innen bereits mit dieser vergleichsweise unmittelbaren Ebene des politischen Systems unzufrieden sind, ist es wahrscheinlich, dass sie auch mit anderen Ebenen des politischen Systems unzufrieden sind.
Für die Analyse wird erwartet, dass Befragte, die in Nachbarschaften mit höheren Mietpreissteigerungen leben, weniger zufrieden mit der öffentlichen Verwaltung sind. Hintergrund dieser Annahme sind Ansätze aus der ökonomischen Wahltheorie („Economic Voting Theory“): Steigende Mietpreise implizieren für Mieter*innen höhere monatliche Wohnkosten und damit eine Verringerung des monatlich zur Verfügung stehenden Einkommens. Dies kann als eine Verschlechterung der persönlichen finanziellen Situation empfunden werden, was zu erhöhter Unzufriedenheit führen kann. Diese Unzufriedenheit kann auf politische Akteur*innen wie die öffentliche Verwaltung übertragen werden, da diese in der Wahrnehmung der Befragten nicht ausreichend vor Kostensteigerungen schützt oder wirksame Maßnahmen dagegen ergreift.
Mehrebenen-Regressionsmodelle, die auch relevante individuelle Merkmale (z.B. Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, Art der Beschäftigung, allgemeine Lebenszufriedenheit, Haushaltsgröße) und andere Charakteristika der Nachbarschaften (z.B. Arbeitslosenquote, Ausländeranteil) berücksichtigen, zeigen, einen statistisch signifikanten negativen Zusammenhang zwischen hohen Mietpreissteigerungen (zwischen 2010 und 2022) und der Zufriedenheit mit der öffentlichen Verwaltung. Das bedeutet, dass Befragte, die in Nachbarschaften mit höheren Mietpreissteigerungen leben, unzufriedener mit der öffentlichen Verwaltung in ihrer Nachbarschaft sind. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit den beschriebenen Erwartungen der ökonomischen Wahltheorie, die darauf hindeuten, dass Individuen politische Akteure für eine Verschlechterung ihrer persönlichen wirtschaftlichen Situation zur Verantwortung ziehen.
Fazit
Insgesamt steckt die politikwissenschaftliche Forschung zum Einfluss von (steigenden) Mietpreisen auf politische Einstellungen noch in ihren Kinderschuhen. Erste Analysen auf Basis der LiV-Umfrage und der Mietpreis
-Daten deuten darauf hin, dass steigende Mietpreise in deutschen Großstädten mit einer zunehmenden Unzufriedenheit mit der lokalen öffentlichen Verwaltung zusammenhängen. Eine zunehmende Unzufriedenheit mit der lokale öffentliche Verwaltung – einer vergleichsweise unmittelbaren Ebene des politischen Systems – kann sich leicht auf weitere Ebenen des politischen Systems übertragen und zu einer wachsenden Unzufriedenheit mit dem politischen System insgesamt beitragen. Mietpreissteigerungen können daher weitreichende Konsequenzen für die politischen Einstellungen der Betroffenen haben. Sowohl Politikwissenschaftler*innen als auch politische Akteur*innen sollten sich des möglichen Einflusses von Mietpreisentwicklungen auf politische Einstellungen bewusst sein. Eine Intensivierung der Forschung in diesem Bereich ist wünschenswert, um die zugrundeliegenden Zusammenhänge besser zu verstehen.
Literatur
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Zitation: Teresa Hummler: Steigende Mieten, steigende Unzufriedenheit? – Über den politischen Einfluss steigender Mietpreise in deutschen Großstädten, in: Über Politik aus der Wissenschaft, 02.12.2024, https://www.politik-wissenschaft.org/2024/11/18/steigende-mieten/, DOI: https://doi.org/10.17185/politik-wissenschaft/20241202