Die helle Seite der Macht und die soziale Mobilisierung zur Wahlbeteiligung
Von Achim Goerres
Wähler sind Menschen und wollen als solche mit ihrem Verhalten den sozialen Erwartungen ihrer Freunde entsprechen und sozialem Druck entgehen. Dies lässt sich auch für die Wahlbeteiligung zeigen. Somit ist dies ein Aufruf, über soziale Netzwerke auf eine bestimmte Art die eigenen Freunde zur Wahl am 26. Mai aufzurufen.
Am 26. Mai steht die Wahl zum Europaparlament an. Alle in Deutschland lebenden EU-Bürger sind hierzulande zur Wahl aufgerufen.
Dieser Beitrag hat eine klare normative Perspektive. Ich will Sie dazu bewegen, andere Leute zur Wahlteilnahme zu bringen. Dass Sie wählen wollen, ist angesichts der Inhalte dieses Blogs nicht bemerkenswert. Dass Sie aber das Potenzial haben, mit wenig Aufwand andere zu mobilisieren, mag neu für Sie sein. Ich denke, es ist Ihnen klar, dass es gut ist, wenn Menschen wählen gehen, und verzichte aus Platzgründen auf eine Begründung der Relevanz des Wahlaktes für die Demokratie.
Sozialer Druck bringt Menschen dazu, der sozialen Norm der Wahlbeteiligung mit ihrem Verhalten zu entsprechen, weil sie keine sozialen Sanktionen, z.B. in Form von verbaler Schelte („Du bist nicht wählen gegangen?“), ausgesetzt sein wollen. In diesem Sinne wollen Wähler mit ihrem Handeln den Erwartungen ihrer Peers entsprechen.
Nun könnte man ja denken, dass solche Mechanismen in einer individualisierten Gesellschaft, in der jeder sein eigenes Ding macht, nicht mehr wichtig sind. Aber weit gefehlt. Solche Mechanismen funktionieren sogar relativ gut. Im größten Experiment der Politikwissenschaft wurden 61 Millionen Facebook-Users in den USA bei der Kongresswahl am 02.11.2010 unterschiedlichen Treatments ausgesetzt, d.h. in diesem Falle Informationen und Aktionsmöglichkeiten. Dazu wurden sie in drei Gruppen per Zufall aufgeteilt:
Social message (~60 Millionen Users): die User dieser Gruppe bekamen…
- als Topneuigkeit in ihrem Newsfeed die Information, dass Wahltag sei nebst Informationen zum Wahllokal,
- einen Button „I voted“, mit dem man den Wahlgang gegenüber der Facebook-Öffentlichkeit anzeigen konnte
- die tatsächliche Anzahl der User, die bereits angezeigt hatten, gewählt zu haben,
- die Fotos von 6 ihrer Facebook friends, die ihren Wahlgang bereits angezeigt hatten
Informational message (~611 tausend Users): die Users dieser Gruppe bekamen
- als Topneuigkeit in ihrem Newsfeed die Information, dass Wahltag sei nebst Informationen zum Wahllokal,
- einen Button „I voted“, mit dem man den Wahlgang andeuten konnte
- die tatsächliche Anzahl der User, die bereit angezeigt hatten, gewählt zu haben,
Kontrollgruppe (~ 613 tausend Users): die Users dieser Gruppe bekamen keine dieser Informationen und Möglichkeiten gezeigt.
Abbildung 1: die Ausschnitte des Screens für die Gruppen „social message“ und „informational message“ (Bond et al. 2012: 296)
Es wurde gemessen:
- Klick auf die Informationen zur Wahlstation als Wunsch nach mehr Information,
- Klick auf „I Voted“ Button als Ausdruck des Willens die sozial erwünschte Aktion im eigenen Netzwerk darzustellen sowie
- ob der User tatsächlich gewählt hat (diese Information, ob und nicht wen beispielsweise Achim Goerres gewählt hat, ist in den USA öffentlich zugänglich).
Hier interessieren uns nur die Ergebnisse der tatsächlichen Wahlbeteiligung. Ob man gar nichts zu dem Thema gezeigt bekommen hat (Kontrollgruppe) oder reine Informationen zur Wahl erhalten hat (informational message) hatte keinerlei Effekt auf die Wahlbeteiligung. Das bedeutet, dass die ungefragte Versorgung mit Informationen zu Wahlen bei Wählerinnen und Wählern zu keinerlei Effekten führt. Dies ist an sich ein extrem wichtiger Befund. Er beinhaltet zum Beispiel, dass Plakate zur Erinnerung an die Wahl keinerlei Effekt auf die Wahlbeteiligung haben.
Der Effekt der „social message“ im Vergleich zu keinen Informationen oder den reinen Informationen ohne Freunde-Bilder war 0,39 Prozentpunkte, d.h. die Gruppe derjenigen mit der „social message“ hatte eine Wahlbeteiligung von knapp 0,4 Prozentpunkten höher als die der anderen Gruppen. Dieser Unterschied ist mit sehr großer Sicherheit größer als null und kein Zufallsprodukt. Mit anderen Worten: wenn ich sehe, dass meine Freunde gewählt haben, erhöht das nicht nur meine eigene Bereitschaft zur Wahl zu gehen, sondern auch dieses geplante Verhalten tatsächlich in die Tat umzusetzen. Dieser Effekt hat nichts mit den Informationen über die Wahl an sich zu tun, sondern ist allein in den Fotos meiner Peers, die angeben bereits gewählt zu haben, zu sehen. Dies hat sehr viel mit sozialem Druck zu tun und unserem Wunsch, Teil einer Gruppe zu sein und dem sozial erwünschten Verhalten dieser Gruppe zu entsprechen.
Neben diesen direkten Effekten schätzten die Wissenschaftler weiterhin die indirekten Effekte der Experimentalinformationen. Hier fanden sie, dass enge Freunde (FB Users, die häufig interagieren) einander beeinflussen. Die Wahrscheinlichkeit zur Wahl zu gehen erhöhte sich für enge Freunde einer Person, die die „social message“ gesehen hatte, um 0,22 Prozentpunkte, obwohl diese Freunde selbst gar nicht diese Nachricht bekommen hatten. Damit hatte die einfache Nachricht mit Fotos der Freunde versehen substanzielle nachgeordnete Effekte, die sich kaskadenhaft durch das ganze Netzwerk verbreiteten. Wenn man diese nachrangigen Effekte zusammenrechnete, hat die einmalige Nachricht auf Facebook an einem einzigen Tag zu einer Erhöhung der Wahlbeteiligung von 0,60 Prozentpunkten geführt!
Diese Befunde haben auch normative Implikationen für Sie. Sie können nämlich bei Facebook ihre eigenen Netzwerke nutzen, um Nachrichten zu posten:
- Eine Nachricht jetzt, dass bald Wahl ist und dass Sie wählen werden. Bitten Sie darum, dass ihre FB-Freunde eine ähnliche Nachricht in ihr Profil stellen.
- Eine Nachricht am Tag vor Ihrer Wahl, dass Sie morgen wählen gehen werden.
- Eine Nachricht, nachdem Sie gewählt haben, dass Sie gewählt haben und wissen wollen, ob andere auch schon gewählt haben.
Diese Art des Vorgehens mag sich komisch anfühlen, doch Sie können damit wirklich Individuen zum Wählen bewegen.
Versuchen Sie es einfach und schreiben Sie mir einen Kommentar über Ihre Erfahrungen ins Blog dazu!
P.S.: Wenn Sie wissen wollen, wer meiner Meinung nach einer der führenden Politikwissenschaftler weltweit in den nächsten 10 Jahren sein wird, dann schauen Sie sich einmal Prof. James Fowler von der University of California at San Diego an.