Politikwissenschaft geht an die Schule – Politische Unterstützung und Politisches Vertrauen aus der Perspektive von Schüler:innen

Von Teresa Hummler und Paul Vierus

Am 7. November 2024 waren Schüler:innen der Industrieklasse des Robert-Schuman-Berufskolleg in Essen gefragt: Was versteht Ihr unter politischer Unterstützung? Was ist für Euch wichtig, um Politik vertrauen zu können? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des „Youth Democracy Lab – Politische Unterstützung“, das wir mit Schüler:innen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren durchgeführt haben. Einen Tag nach dem Bruch der Ampel-Koalition in Deutschland und der Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten, hätte es dafür wohl keinen besseren Tag für geben können. Dementsprechend groß war der Gesprächsbedarf der Schüler:innen. 

Das „Youth Democracy Lab“ konzentriert sich auf die Perspektiven junger Menschen auf Fragen rund um Demokratie und Politik. Das grundlegende Konzept wurde im Rahmen des Projektes “ActEU – Activating European Citizens’ Trust in Times of Crisis and Polarisation” erstellt. Wir griffen dieses Konzept dankbar auf und adaptierten es für den Themenschwerpunkt „Politische Unterstützung“. Das zentrale Ziel war zum einen die Schaffung eines diskursiven Raumes, um mit den Schüler:innen in Gruppenarbeiten in einen Austausch zu den Themen Unterstützung und Vertrauen in politische Institutionen zu kommen. Zum anderen sollte das Ausmaß an politischer Unterstützung und politischem Vertrauen innerhalb der Klasse mittels einer Online-Umfrage evaluiert werden. 

Der Schulbesuch steht in Zusammenhang mit der an der Universität Duisburg-Essen veranstalteten internationalen Konferenz „Current Directions in Research on Political Support“. Hierfür kamen am 21. und 22. November 2024 Wissenschaftler:innen zusammen und haben aktuelle Forschung rund um das Thema „Politische Unterstützung“ präsentiert und diskutiert. Für den Schulbesuch waren wir insbesondere an der Perspektive der Schüler:innen auf politische Unterstützung und politisches Vertrauen interessiert und wollten wissen, welche Ideen sie dazu haben und welche Empfehlungen sie für die Politik sowie die politische Bildung in der Schule haben, um zu mehr politischer Unterstützung und Vertrauen unter jungen Menschen beizutragen.

Die Entwicklung politischer Unterstützung in der Adoleszenz und die Rolle der politischen Bildung

Die Unterstützung politischer Institutionen durch die Bevölkerung ist entscheidend für die Stabilität von Demokratien und die Handlungsfähigkeit von Regierungen. Ob eine Person ein hohes oder geringes Maß an politischer Unterstützung aufweist, wird maßgeblich durch die politische Sozialisation während der Adoleszenz geprägt. Neben der Familie spielen dabei insbesondere die Schule und der Medienkonsum eine zentrale Rolle.

Gemäß dem kulturellen Erklärungsansatz basiert politische Unterstützung auf den Werten und Normen einer Person, die primär innerhalb der Familie vermittelt werden. Familienspezifische Faktoren wie der sozioökonomische Status und das Bildungsniveau prägen demnach das Ausmaß der Unterstützung politischer Institutionen. Auch die Schule spielt als Ort der Vermittlung von politischem Wissen eine zentrale Rolle. Hier können insbesondere Besuche von politischen Institutionen das Interesse an Politik nachhaltig fördern. Studien zeigen zudem, dass Lehrer:innen als Repräsentant:innen des Staates fungieren und somit eine Schlüsselrolle einnehmen: Ihr Führungsstil im Unterricht – ob demokratisch oder autoritär geprägt – kann das Verhältnis der Schüler:innen zu Hierarchien entscheidend prägen.

Darüber hinaus beeinflussen auch (soziale) Medien die politische Unterstützung, indem sie Informationen bereitstellen und aktuelle Ereignisse einordnen. Auf diese Weise prägen sie maßgeblich die Wahrnehmung politischer Akteure und Institutionen, sowie gesellschaftlicher Entwicklungen. Insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender Verbreitung von Desinformation, gewinnt politische Bildung an Bedeutung. Sie trägt dazu bei, die Bürger:innen mit fundiertem politischem Wissen und kritischem Verständnis auszustatten, um antielitären und antidemokratischen Einstellungen entgegenzuwirken und demokratische Haltungen zu stärken.

Politische Unterstützung seitens Schüler:innen – eine Analyse

Neben der Möglichkeit des Austausches nutzten wir die Gelegenheit, die politische Unterstützung der besuchten Klasse zu evaluieren. Zu diesem Zweck haben wir die politische Unterstützung in Form von Vertrauen in und Zufriedenheit mit politischen Institutionen, zu Beginn unseres Besuchs und eine Woche nach dem Schulbesuch mittels einer Online-Umfrage erhoben. Im Folgenden stellen wir die Ergebnisse dieser beiden Befragungen in der Klasse vor (siehe Abbildung 1) und vergleichen sie anschließend mit den Ergebnissen für Deutschland (siehe Abbildung 2), die wir auf Basis der Daten des European Social Survey 2023 berechnet haben. 

Abbildung 1 Zufriedenheit mit und Vertrauen in politische Institutionen der besuchten Schulklasse

Wie in Abbildung 1 ersichtlich, kann die politische Unterstützung innerhalb der von uns besuchten Schulklasse als mittel bis gering eingestuft werden. So erreicht die Zufriedenheit mit der Regierung auf einer Skala von 1 bis 10 bei der ersten Befragung einen Mittelwert von 2,6 (3,3 bei der zweiten Befragung). Dabei ist zu berücksichtigen, dass vor der ersten Befragung die Regierungskoalition zerbrochen war, was die Ergebnisse sicherlich beeinflusst hat. Die Zufriedenheit mit der Demokratie als Staatsform fällt dagegen mit einem Mittelwert von 4,3 in der ersten (und 4,8 in der zweiten) Befragung höher aus. Auch das Vertrauen in das Parlament erreicht mit einem Mittelwert von 4,0 in der ersten Befragung (4,4 in der zweiten) einen vergleichbaren Wert, während das Vertrauen in die Parteien mit 3,7 in der ersten und 3,5 in der zweiten Befragung geringer ausfällt. 

Ein Vergleich der Durchschnittswerte der ersten und zweiten Befragung zeigt nur geringe Veränderung zwischen den Befragungen. Während das Vertrauen in das Parlament sowie die Zufriedenheit mit Regierung und Demokratie leicht anstiegen, ist das Vertrauen in die Parteien leicht gesunken. Über mögliche Ursachen für diese Entwicklung lässt sich nur spekulieren, denkbar wären die positive Beurteilung der politischen Lösungsfindung nach dem Regierungsende oder auch der Input über die politische Unterstützung von unserer Seite. 

Doch wie sieht der Vergleich mit den politischen Unterstützungswerten für die gesamtdeutsche Bevölkerung im Alter von 18 bis 30 Jahren aus? Und wie verhalten sich die Unterstützungswerte im Vergleich zur restlichen Bevölkerung? Abbildung 2 stellt dazu das Vertrauen in und die Zufriedenheit mit politischen Institutionen für Gesamtdeutschland auf Basis des aktuellen European Social Survey dar, der zwischen Mai und Dezember 2023 erhoben wurde. Der Vergleich der Schulklasse mit der Altersgruppe 18 bis 30 in Deutschland zeigt, dass die politische Unterstützung innerhalb der Schulklasse geringer ausfällt. Mögliche Gründe hierfür könnten die aktuellen Entwicklungen in Form der gescheiterten Regierung sein oder darauf zurückzuführen sein, dass die Schulklasse ein spezifisches Bildungsniveau aufweist, das nicht repräsentativ für die gesamte Altersgruppe 18 bis 30 ist. Für Deutschland liegen die Mittelwerte in allen vier Unterstützungsformen bei den 18- bis 30-Jährigen insgesamt höher als bei den über 30-Jährigen, d.h. die Unterstützung ist bei den Jüngeren stärker ausgeprägt als bei den Älteren. Dies unterstreicht, dass die Durchschnittswerte der von uns besuchten Klasse als gering einzustufen sind.   

Jenseits dieser Unterschiede in der Höhe der Unterstützungswerte zeigt sich interessanterweise in allen drei untersuchten Gruppen eine identische Abstufung zwischen den vier Unterstützungsformen. So ist die Zufriedenheit mit der Demokratie am höchsten, gefolgt vom Vertrauen in das Parlament und die Parteien, während die Zufriedenheit mit der Regierung am geringsten ausgeprägt ist. Trotz der Unterschiede im Unterstützungsniveau ist die Rangfolge der Unterstützung der politischen Institutionen somit homogen. 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die von uns besuchte Schulklasse im Vergleich zu den 18- bis 30-Jährigen in Deutschland geringere Unterstützungswerte aufweist. Dies ist umso bemerkenswerter, da das Vertrauen und die Zufriedenheit bei den Jüngeren in der Gesamtbevölkerung höher ist als bei den über 30-Jährigen.

Abbildung 2 Zufriedenheit mit und Vertrauen in politische Institutionen in Deutschland

Ergebnisse der Gruppenarbeiten – Was könnte man tun, um die politische Unterstützung von jungen Leuten zu stärken? 

Um mehr über die Perspektive der Schüler:innen auf politische Unterstützung und politisches Vertrauen zu erfahren, wurden Gruppenarbeiten durchgeführt. Angesichts des insgesamt niedrigen politischen Vertrauens und der niedrigen Zufriedenheit in der Industrieklasse war für uns von besonderem Interesse, welche Ideen die Schüler:innen selbst haben, um politische Unterstützung von jungen Menschen zu stärken. 

Dazu wurde die Industrieklasse gebeten, sich vorzustellen, sie säße einer Gruppe von Politiker:innen, die sie um konkrete Ideen, Vorschläge und Empfehlungen zur Stärkung der politischen Unterstützung der jungen Generation bitten. In einem zweiten Szenario fanden sich die Schüler:innen in einem großen Workshop an ihrer Schule wieder, bei dem sie Lehrer:innen und Schulleiter:innen aus ganz NRW ihre Vorschläge und Empfehlungen für die politische Bildung an Schulen mitgeben konnten.  

Von der Politik wünschen sich die Schüler:innen vor allem mehr Transparenz und eine bessere Kommunikation. Politiker:innen sollten ihre Entscheidungen klar kommunizieren und begründen. Die Verständlichkeit für alle Bevölkerungsschichten ist dabei von zentraler Bedeutung. Auf Jugendsprache sollten Politiker:innen jedoch verzichten, das wirke nur „cringe“. Des Weiteren wünschen sich die Schüler:innen von der Politik ergebnis- und zukunftsorientiertes Handeln. Dabei sollte die Politik dem Wohl aller dienen und nicht nur wenigen privilegierten Gruppen. Insbesondere ein stärkerer Fokus auf Jugendpolitik ist den Schüler:innen wichtig. Oft fühlen sie sich und die Themen, die ihnen wichtig sind, von der Politik vernachlässigt. Die Schüler:innen empfehlen der Politik auch, ihre (Wahl-)Versprechen einzuhalten. Die Nichteinhaltung von gemachten Versprechen führe zu Unverständnis und Frustration. 

Hinsichtlich der Empfehlungen an die Schule und politische Bildung kommunizierten uns die Schüler:innen einen großen Bedarf an mehr und qualitativ hochwertigem Politikunterricht. Es sollte mehr Zeit zur Verfügung stehen, um in der Schule über aktuelle und relevante politische Themen zu sprechen und zu diskutieren. Dabei ist den Schüler:innen wichtig, dass die Inhalte neutral und ohne Wertung vermittelt werden. Der Politikunterricht sollte dabei helfen, sich eine eigene, fundierte Meinung zu bilden und keine Meinung vorgeben. Außerdem sollte der Politikunterricht altersgerecht und verständlich aufbereitet sein. Ein konkreter Vorschlag hierzu war, Beiträge der Tagesschau gemeinsam im Unterricht anzuschauen und diese anschließend gemeinsam zu besprechen. 

Inhaltlich wurden insbesondere drei Themen genannt, die die Schüler:innen in den Politikunterricht integrieren möchten. Das erste Thema ist Kommunalpolitik. Eine stärkere Auseinandersetzung mit diesem Thema würde es den Schüler:innen ermöglichen ihr direktes Umfeld besser kennenzulernen und die Politik, die sie unmittelbar betrifft, besser zu verstehen. Das zweite Thema sind Wahlen. Die Schüler:innen wünschen sich eine stärkere Sensibilisierung für die Wichtigkeit und Konsequenzen von Wahlen und Wahlentscheidungen. Wahlprogramme sollten im Politikunterricht besprochen und diskutiert werden und so die Meinungsbildung und Wahlentscheidung der Schüler:innen erleichtern. Das dritte Thema ist der Umgang mit (sozialen) Medien. Die Schüler:innen empfehlen, dass ein verantwortungsbewusster Umgang mit Medien, insbesondere mit sozialen Medien gelehrt wird. Die Schüler:innen sollten im Politikunterricht dazu befähigt werden, seriöse von unseriösen Informationsquellen zu unterscheiden und Fake News und Deep Fakes zu erkennen. 

Fazit 

Zusammenfassend stießen unser Schulbesuch sowie die Diskussion über politische Unterstützung auf großes Interesse und Zuspruch seitens der Schüler:innen. Die Analyse des Vertrauens in und der Zufriedenheit mit den politischen Institutionen ergab, dass die Vertrauens- und Zufriedenheitswerte in der Schulklasse im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, insbesondere der jüngeren Personen, geringer ausfallen. In den Gruppenarbeiten haben die Schüler:innen auch direkt konkrete Vorschläge zur Verbesserung eingebracht: Sie betonen die Notwendigkeit der politischen Kommunikation über moderne Kommunikationswege, um junge Menschen über ihre bevorzugten Kanäle zu erreichen. Außerdem fordern sie mehr Zeit für politische Bildung in der Schule, um aktuelle politische Themen zu diskutieren. 

Danksagung

Conrad Ziller, Paul Vierus und Teresa Hummler danken der Körber Stiftung für die finanzielle Unterstützung. Außerdem möchten wir uns bei Ana Alba Schmidt für die Unterstützung bei der Planung des Youth Democracy Labs und die Kontaktherstellung zur Schule sowie beim gesamten Team des ActEU-Projekts für die Unterstützung bei Konzeption des Youth Democracy Labs herzlich bedanken. Größter Dank gebührt den Schüler:innen der Industrieklasse und ihrem Politiklehrer Dr. Sohail Nazir für ihr großes Interesse und ihre aktive Mitarbeit, die das Youth Democracy Lab zu einem Erfolg gemacht haben. 

Literatur 

ActEU Projekt (2024). ActEU – First Youth Democracy Lab. Online unter: https://michael-kaeding.eu/en/event/acteu-first-youth-democracy-lab/ [zuletzt geprüft: 26.11.2024]. 

ESS Round 11: European Social Survey European Research Infrastructure (ESS ERIC) (2024) ESS11 – integrated file, edition 2.0 [Datensatz]. Sikt – Norwegian Agency for Shared Services in Education and Research. https://doi.org/10.21338/ess11e02_0.

Pickel, S., & Pickel, G. (2006). Politische Kultur- und Demokratieforschung: Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung (Vol. 2314). Springer-Verlag.

Robert Schuman Berufskolleg Essen (2024). 23IB3 unterstützt Politikprojekt der UDE. Online unter: https://www.robert-schuman-berufskolleg.eu/ [zuletzt geprüft: 26.11.2024]. 

Ziemes, J. F., & Abs, H. J. (2024). Individuelle und schulische Sozialisationsbedingungen von Vertrauen in politische Institutionen. Zeitschrift für Pädagogik70.


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