Politische Jugendrepräsentation in Zeiten gesellschaftlicher Alterung – wo steht Deutschland?

Foto von Steffen Kugler unter Creative Commons 2.0

Kira Renée Kurz

Vor Kurzem forderte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angesichts der niedrigen Geburtenraten ein „réarmement démographique“ – ein demographisches Wiederaufrüsten. Starke Worte für ein eigentlich sehr privates Themenfeld. Doch die Auswirkungen  gesellschaftlichen Alterung werden immer sicht- und spürbarer, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik.

1980 waren in Deutschland noch 35% der Menschen jünger als 25 Jahre. 2024 sind es laut statistischem Bundesamt nur noch 24%. Und ein Großteil dieser 24% ist noch nicht wahlberechtigt, womit diese Altersgruppe in Wahlkampfzeiten für Parteien eine wenig interessante Zielgruppe darstellt. Für junge Menschen wird es also im Zuge der gesellschaftlichen Alterung immer schwieriger, ihre Interessen in Wahlen durchzusetzen. Dies kann bei jungen Menschen zu Frust und Enttäuschung gegenüber der repräsentativen Demokratie führen.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders spannend, einen Blick auf deskriptive Jugendrepräsentation zu werfen – also die Frage, wie viele junge Abgeordnete es in den Parlamenten gibt. Zum einen könnten sich junge Menschen durch Politiker*innen ihrer Generation stärker repräsentiert fühlen. Und zum anderen wird ein Zusammenhang zwischen deskriptiver und substanzieller, also inhaltlicher politischer Repräsentation angenommen. Kurz gesagt, junge Abgeordnete setzen vermutlich eher jugendrelevante Themen auf die Tagesordnung als ältere.

Wie steht es also in Deutschlandals sehr alten Land, mit der Jugendrepräsentation in der Politik? 

Blickt man auf den Bundestag als Ganzes, so hatte dieser nach den Wahlen im Jahr 2021 8,6% Abgeordnete, die maximal 30 Jahre alt waren – im Vergleich zu 30% in der Gesamtbevölkerung und immerhin 13% in der Bevölkerung im wahlberechtigten Alter. Erhöht man die Altersgrenze ein wenig und definiert Abgeordnete bis 35 Jahre als jung, so erhöht sich der Anteil auf 17% (37% der Gesamtbevölkerung, 20% innerhalb der Bevölkerung im wahlberechtigten Alter). Junge Menschen sind im aktuellen Parlament also deskriptiv unterrepräsentiert. 

Abbildung 1: Übersicht ausgewählter westeuropäischer Staaten mit Parlamentswahlen zwischen 2020 und 2023. Eigene Darstellung, Daten von Stockemer & Sundström.

Um die Daten international vergleichen zu können, bietet es sich an, den Anteil junger Abgeordneter ins Verhältnis zum Anteil der jeweiligen Altersgruppe an der wahlberechtigten Bevölkerung zu setzen (Alters-Repräsentations-Index „ARI“). Im westeuropäischen Vergleich positioniert sich Deutschland im Mittelfeld. Junge Menschen sind in allen aufgeführten Parlamenten unterrepräsentiert, am stärksten jedoch in Italien und Irland. In Norwegens und Schwedens Parlamenten hingegen sind Menschen unter 35 deutlich besser repräsentiert – wenn auch immer noch nicht entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung im Wahlalter.

Ein Blick auf die Parlamentsfraktionen

Und wie steht es um Jugendrepräsentation innerhalb der verschiedenen Parlamentsfraktionen? Gibt es Differenzen zwischen den Parteien? Auswertungen der parlamentarischen Gruppen zeigen: Es gibt Unterschiede nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Länder! Betrachten wir wiederum Westeuropa als Beispiel, so ergibt sich folgendes Bild:

Abbildung 2: Variation im Anteil junger Parlamentsmitglieder (U35) in den Parteifraktionen westeuropäische Länder mit Wahlen zwischen 2017 und 2020. Darstellung: Felix Ettensperger, Daten: Kurz & Ettensperger 2023 (siehe Literaturliste unten)

Die Variation zwischen den deutschen Parteien ist verhältnismäßig klein: Den höchsten Anteil junger Abgeordneter hatte nach der Wahl 2017 die FDP-Fraktion, den niedrigsten die Linke. Ähnlich sieht es bei unseren Nachbarn in Österreich und der Schweiz aus, wo der Anteil junger Parlamentsmitglieder zwischen den Fraktionen nicht stark variiert. Deutlich mehr Variation weisen hingegen dänische und finnische Parteien auf. Spitzenreiter bei jungen Parlamentsmitgliedern sind hier die Socialistisk Folkeparti (SF, grün-links) und die Vihreä liitto (VL, ”Grüne Liga”) mit 43% und 35%. Auch in den Niederlanden variirert der Anteil junger Menschen zwischen den Parlamentsfraktionen stark, die Extreme werden hier von der Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD, konservativ-liberal) mit unter 5% jungen Menschen und der Partij voor de Vrijheid (PVV, nationalistisch-rechtspopulistisch) mit knapp 27% besetzt.

Was erklärt die Unterschiede bei der Jugendrepräsentation?

Nun stellt sich abschließend die Frage, was diese Unterschiede bei der deskriptiven Jugendrepräsentation erklärt – zwischen den Ländern, aber auch zwischen den Parteien? Eine wichtige Rolle spielt das Wahlsystem. In Mehrheitswahlsystemen gibt es deutlich weniger junge Abgeordnete als in Ländern mit Verhältniswahl. Innerhalb von Verhältniswahlsystemen scheint zusätzlich auch die Parteiideologie eine Rolle zu spielen, wobei sich eine progressive Ideologie positiv auf den Anteil junger Menschen in Parteifraktionen auswirkt. Im Umkehrschluss heißt das aber nicht, dass nicht auch konservative oder rechtspopulistische Parteien junge Fraktionen haben können, wie das oben erwähnte Beispiel der PVV in den Niederlanden zeigt.  Vermutlich spielen auch noch viele andere Faktoren eine Rolle, z.B. das Alter der Partei oder wie Wahllisten erstellt werden. Hier sind bisherige Untersuchungen allerdings noch zu keinem einheitlichen Ergebnis gekommen und es gilt, weitere Forschungsarbeiten abzuwarten.

Ein paar frei zugängliche Literaturhinweise:

Stockemer, D., and Sundström, A. (2022)Youth Without Representation, University of Michigan Press. https://doi.org/10.3998/mpub.11459940

Belschner, J. (2024): Too young to win? Exploring the sources of age-related electoral disadvantage. In: Electoral Studies, Vol. 88. https://doi.org/10.1016/j.electstud.2024.102748

Kurz, K. R. & Ettensperger, F. (2023):  Exploring the Conditions for Youth Representation: A qualitative comparative analysis of party parliamentary groups. In: European Political Science, online first. https://doi.org/10.1057/s41304-023-00460-7%20

Kurz, K. R. & Ettensperger, F. (2023):  Introducing a new dataset: Age Representation in Parliaments on the Party-level. In: Statistics, Politics and Policy  Vol. 14, Issue 3. https://doi.org/10.1515/spp-2023-0014 

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