Corona: Wie schlimm ist es, zu Hause zu bleiben?

Von Prof. Dr. Martin Schröder

(Zweitveröffentlichung, ursprüngliche Veröffentlichung unter https://www.martin-schroeder.de/2020/03/21/zu-hause-bleiben/)

Was passiert, wenn Menschen aufgrund der Corona-Krise erzwungenermaßen zu Hause bleiben müssen? Ich sehe vor allem drei Effekte, zwei davon negativ, einer positiv. Negativ ist, dass Menschen weniger soziale Kontakte haben und weniger das Gefühl, ihr eigenes Leben zu kontrollieren. Doch positiv könnte sein, dass wir alle das Gefühl haben, zusammen eine gemeinsame Aufgabe zu bewältigen, was zu einer Stärkung des Gemeinschaftsgefühls führt. Wie negativ beeinflussen die ersten beiden Aspekte uns und wie positiv könnte der letzte Effekt sein?

Keine Freunde treffen

Um diese Fragen zu beantworten, nutze ich die Daten des sozio-ökonomischen Panels und untersuche, was mit der Zufriedenheit von Menschen passiert, wenn sie seltener Freunde treffen, meinen weniger Kontrolle über ihr Leben zu haben und sich stärker einer Gemeinschaft zugehörig fühlen. Fangen wir also an. Wie negativ ist der Effekt, seine Freunde seltener treffen zu können? Die gesamte Skala, auf der die Lebenszufriedenheit abgefragt wird, geht von 0 bis 100. Hier sehen Sie, wie viel Lebenszufriedenheit dieselbe Person verliert, wenn sie ihre Freunde seltener trifft.

Abb 1 Schröder

Wer seine Freunde nicht mehr täglich, sondern nur noch wöchentlich sieht, dessen Zufriedenheit sinkt erst einmal nur um 0,5 von 100 möglichen Punkten, das ist nicht besonders viel. Zum Vergleich: Wer verheiratet ist, ist etwa drei Punkte zufriedener als er als Single war; wer 2000 Euro monatlich hat, ist etwa 5 Punkte zufriedener als er mit 400 Euro monatlich war und wer arbeitslos wird, verliert etwa 5 bis 10 Zufriedenheitspunkte. Wenn Sie damit vergleichen, wie schlimm es ist, seine Freunde nur monatlich statt täglich zu sehen, so merken Sie, dass auch das noch nicht besonders schlimm ist. Denn selbst bei nur noch monatlichen Treffen liegt die Zufriedenheit derselben Person nur 0,8 von 100 Punkten niedriger. Erst wenn man seine Freunde seltener als monatlich sieht, sinkt die Zufriedenheit um immerhin zwei Punkte. Das legt nahe, dass weniger soziale Kontakte bis zu einem Monat nicht so dramatisch ist.

 

Weniger Kontrolle über das eigene Leben haben

Doch was ist mit dem zweiten Faktor, der damit einhergeht, zu Hause eingesperrt zu sein? Was passiert, wenn man das Gefühl hat, weniger Kontrolle über sein Leben hat? Um das herauszufinden, hat das sozio-ökonomische Panel Menschen gebeten, der Aussage „Ich habe wenig Kontrolle über die Dinge, die in meinem Leben passieren“ auf einer Skala von 1-7 zuzustimmen, wobei eine 1 bedeutet, dass man überhaupt nicht zustimmt und eine 7 bedeutet, dass man vollkommen zustimmt, keine Kontrolle zu haben. Sehen Sie selber, wie viel unzufriedener dieselbe Person wird, wenn Sie stärker zustimmt, keine Kontrolle über ihr Leben zu haben.

Abb 2 Schröder

In Jahren, in denen dieselbe Person voll und ganz zustimmt, keine Kontrolle über ihr Leben zu haben, ist sie auch extreme 9 von 100 möglichen Punkten unzufriedener, als in Jahren, in denen sie der Aussage, keine Kontrolle über ihr Leben zu haben, überhaupt nicht zustimmt. Das spricht dafür, dass Menschen tatsächlich sehr viel unzufriedener werden, wenn sie meinen, weniger Kontrolle über ihr Leben zu haben, was derzeit mit den Ausgangssperren der Fall ist. Noch mal zum Vergleich: Der Verlust von Kontrolle über sein Leben macht in etwa so stark unzufrieden, wie arbeitslos zu werden, einer der bekanntesten und am stärksten negativen Effekte auf Lebenszufriedenheit. Wie stark eine Ausgangssperre dazu führt, dass Menschen tatsächlich unzufriedener sind, hängt also auch davon ab, wie stark sie meinen, dadurch die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren, wobei Menschen sich schnell miserabel fühlen, wenn sie meinen, keine Kontrolle mehr über ihr Leben zu haben.

 

Mehr Gemeinschaftsgefühl?

Das Gefühl, keine Kontrolle mehr über ihr Leben zu haben, dürfte Menschen also sehr stark treffen. Doch gibt es an dieser Krise auch etwas, das positiv auf unser Gefühlsleben wirken kann? Ja, nämlich die Welle an Solidarität, die gerade durch unser Land schwappt. Menschen wollen sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen und umso stärker sie das tun, desto besser geht es ihnen. So zeigt eine der klassischen Studien in der Soziologie, dass die Selbstmordrate in einem Land sinkt, wenn es mit einem anderen Land Krieg führt (Durkheim 1897: 218f.). Klingt verrückt, oder? Doch wie kann es dazu kommen? Der Grund ist: Führt ein Land einen Krieg, ist das nationale Gemeinschaftsgefühl höher. Gerade führen wir zwar zum Glück keinen Krieg gegen ein anderes Land, doch einen gemeinsamen Gegner haben wir trotzdem: den Virus. Und ein gemeinsamer Gegner kann zu einem erhöhten Gemeinschaftsgefühl führen. Welchen Effekt hat dieses erhöhte Gemeinschaftsgefühl? Hier sehen Sie, was in Jahren passiert, in denen sich derselbe Mensch stärker als Teil unseres Landes fühlt:

Abb 4 Schröder

Man sieht, wie eine Steigerung des Gemeinschaftsgefühls dazu führt, dass es derselben Person besser geht als in Jahren, in denen sie sich keiner Gemeinschaft zugehörig fühlt. Wenn wir nun also das Gefühl haben, zusammen an einem Strang zu ziehen, so kann das also auch einen positiven Effekt auf unsere Zufriedenheit haben.

 

Was zu tun ist, wenn man in der Krise nicht will, dass Menschen unzufrieden werden

Was wäre nach diesen Daten zu tun? Alles spricht dafür, dass Menschen recht gut damit klarkommen, ihre Sozialkontakte etwa einen Monat oder etwas länger einzuschränken. Das in der Corona-Krise geforderte Reduzieren sozialer Kontakte ist also per se für Menschen nicht schlimm, solange es eher Wochen statt Monate dauert. Wichtig ist jedoch, das Menschen weiterhin das Gefühl haben, Kontrolle über ihr eigenes Leben zu haben. Insofern sind Appelle, wie 2 Meter Abstand zu halten, sinnvoller als pauschale Verbote, welche Menschen stark einschränken. Wobei ich auch klarstellen muss: das bezieht sich rein auf die Zufriedenheitsdaten, ich kann das natürlich nicht aus virologischer Sicht beurteilen. Die Daten zeigen jedoch: Während man durch Einschränkungen die Verbreitung des Virus verhindert, verringeren diese Einschränkung wohl auch die Lebenszufriedenheit.

Doch man kann die derzeitige Krise sogar nutzen, um zu einer Erhöhung der Lebenszufriedenheit zu führen. In dem Maße, wie Menschen das Gefühl haben, Teil einer Gemeinschaft zu sein, fühlen Sie sich besser. Dieses Gemeinschaftsgefühl kann gestärkt werden, wenn man daran appelliert und klarmacht, dass wir diese Herausforderung nur gemeinsam bewältigen können.

All diese Informationen und noch mehr kommt übrigens aus meinem neuen Buch:

Abb 5 Schröder

 

 

 

 

 

 

 

 

Durkheim, Émile, 1897: Le Suicide: Étude de sociologie. Paris: Félix Alcan.

Wie immer habe ich das do-file hinter all meinen Ergebnissen hier hochgeladen, damit man nachvollziehen kann, wie ich zu den Ergebnissen gekommen bin: do file für blogeintrag 21.03.2020

 

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