Von Claudia Landwehr und Nils Steiner [1].
Populistische Parteien zeichnen sich nicht nur durch ihre inhaltlichen Politikpositionen zu verschiedenen Sachfragen aus, sie artikulieren auch eine Kritik an den Verfahren der repräsentativen Demokratie. Hinter dieser Kritik steht ein alternatives Demokratieverständnis. Ob Bürger sich von populistischer Rhetorik überzeugen lassen, sollte vor diesem Hintergrund davon abhängen, welche Haltungen sie selbst dazu haben, wie in einer Demokratie entschieden werden sollte. In einem aktuellen Forschungsprojekt untersuchen wir vor diesem Hintergrund, erstens, ob sich die Demokratievorstellungen von Anhängern der AfD, als (rechts-)populistischer Partei, von denen von Anhängern anderer Parteien unterscheiden und, zweitens, ob diese Einstellungen zur Demokratie auch tatsächlich einen Einfluss auf Wahlentscheidungen für die AfD haben.
Unsere Untersuchung folgt dem Verständnis des Populismus von Cas Mudde (2007), der unter Populismus eine sogenannte „dünne Ideologie“ versteht, nach der die Gesellschaft in zwei homogene, sich feindlich gegenüberstehende Gruppen zerfällt, „das einfache Volk“ und „die korrupte Elite“, und nach der die Politik ein Ausdruck des als homogen aufgefassten Willens des Volkes sein sollte. Verschiedene Forschungsarbeiten haben bereits untersucht, ob die AfD als Partei in diesem Sinne als populistisch einzuordnen ist. Insbesondere nach dem Wandel der Partei und der Abspaltung des „Ökonomenflügels“ um den Parteigründer Bernd Lucke nach dem Essener Parteitag im Juli 2015 bedient sich die AfD einer Rhetorik, die man recht eindeutig als populistisch einordnen kann (s. z. B. die Analyse von Simon Franzmann hier). Zumindest Teile der Partei, insbesondere der AfD-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl Alexander Gauland (s. hier), bekennen sich auch selbst offen zum Populismus.
Unsere Forschungsarbeit betrachtet nun die Wähler der AfD und insbesondere deren Demokratieverständnisse. Uns geht es darum Demokratieverständnisse zu identifizieren, die für Populismus empfänglich sind. Wir argumentieren, dass sich solche populistischen Demokratieverständnisse im Einzelnen an drei Einstellungsmustern zur Demokratie festmachen lassen:
- Majoritarismus: Mit Majoritarismus bezeichnen wir die zentrale Rolle, die dem Willen der Mehrheit zugesprochen wird. Nach einem populistischen Demokratieverständnis ist der Mehrheitswille umzusetzen, auch wenn dadurch Minderheiteninteressen oder gar -rechte verletzt werden.
- Unmittelbarkeit: Unter Unmittelbarkeit verstehen wir ein Verständnis von politischer Repräsentation, wonach Repräsentanten wenig eigene Entscheidungsfreiheit und Urteilsbildung zugebilligt wird, sondern ihre Rolle darin gesehen wird, den Willen des Volkes bzw. der Mehrheit des Volkes umzusetzen.
- Antipluralismus: Mit dem Glauben an einen homogenen Willen des Volkes, den es umzusetzen gilt, geht eine Haltung einher, die unter demokratischer Politik nicht einen pluralistischen Wettbewerb und ein Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen gleichermaßen legitimen Interessen versteht. Ein populistisches Demokratieverständnis sieht politischen Pluralismus folglich skeptisch.
Ein solchermaßen definiertes populistisches Demokratieverständnis haben wir versucht mit Umfragedaten des GESIS-Panels zu erfassen. Diese Wiederholungsbefragung wurde so konzipiert, dass sie repräsentativ für die deutschsprachige deutsche Wohnbevölkerung im Alter von 18 bis 70 ist. Wir haben eine Fragebatterie dazu ausgewertet, wie in einer Demokratie entschieden werden sollte. Die Befragten wurden dabei im August und September 2015 gebeten, ihre Zustimmung oder Ablehnung zu verschiedenen Aussagen über demokratische Entscheidungsverfahren auszudrücken. (Eine allgemeinere Auswertung dieser Fragebatterie haben wir bereits an anderer Stelle vorgenommen.) Jeweils drei Fragen konnten wir der Unmittelbarkeit und dem Majoritarismus zuordnen, zwei dem Antipluralismus. Die gleichen Befragten wurden im Juni und Juli 2016 nach ihren Wahlabsichten befragt, „wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre“.
In einem ersten Schritt haben wir geprüft, wie sich die mittleren Positionen der Wähler der unterschiedlichen Parteien unterscheiden. In der Abbildung unten sind die mittleren Positionen abgetragen (mit jeweils einer Linie für das sogenannte 95%-Konfidenzintervall, das angibt, wie unsicher die statistische Schätzung des Mittelwertes in Bezug auf die Grundgesamtheit ist). Wir haben einige Items in der Darstellung gedreht, sodass höhere Werte stets für die „populistischere“ Ausprägung stehen. Es ist deutlich erkennbar, dass Befragte mit Wahlpräferenz AfD im Mittel jeweils deutlich populistischere Haltungen einnehmen als die Anhänger der anderen größeren Parteien: Sie neigen jeweils stärker dem Majoritarismus, der Unmittelbarkeit und dem Antipluralismus zu. Interessanterweise sind zumindest in Bezug auf die Unmittelbarkeit und den Antipluralismus die Nichtwähler teils ähnlich populistisch eingestellt.
In einem zweiten Schritt haben wir untersucht, ob diese populistischen Haltungen zur Demokratie auch tatsächlich einen Einfluss auf die Wahl der AfD haben. Hierzu haben wir auf Basis der acht Fragen von oben einen einfachen Mittelwertindex, einen Populismus-Index, gebildet. Mit einem statistischen Modell, einer binär-logistischen Regression, versuchen wir vorherzusagen, ob die Befragten die AfD präferieren oder eine andere der größeren Parteien (CDU/CSU, SPD, Die Linke, Grüne, FDP). Über dieses Modell lässt sich prüfen, ob die populistischen Haltungen zur Demokratie noch einen eigenständigen Effekt auf die Wahl der AfD haben, wenn wir gleichzeitig über sogenannte Kontrollvariablen (z. B. Links-Rechts-Position, Haltungen zu Multikulturalismus, Leistungen für Asylbewerber, allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik) den Einfluss bekannter Motive der Wahl der AfD berücksichtigen (s. z. B. das Arbeitspapier von Achim Goerres, Dennis Spies und Staffan Kumlin). Die Abbildung unten stellt dar, wie sich die vorhergesagte Wahrscheinlichkeit der Wahl der AfD nach diesem statistischen Modell mit einer Erhöhung des Populismus-Index von seinem Minimum auf sein Maximum verändert. Gleichzeitig sieht man wie sich die Wahrscheinlichkeit der Wahl der AfD mit einem Anstieg der zusätzlichen Kontrollvariablen (von ihrem Minimum auf ihr Maximum) verändert. Neben dem genauen Schätzwert geben sogenannte 95%-Konfidenzintervalle die statistische Unsicherheit um den geschätzten Effekt an.
Unsere Ergebnisse zeigen einen bedeutsamen und statistisch von null deutlich verschiedenen Effekt des Populismus-Index: Erhöht sich der Populismus-Wert von seinem Minimum auf sein Maximum, steigt die Wahrscheinlichkeit der Wahl der AfD nach der Schätzung um 16,8 Prozentpunkte. Der Effekt ist damit größer als z. B. der von Haltungen zu Leistungen für Asylbewerber (-14,4 Prozentpunkte) und Demokratiezufriedenheit (-10,9 Prozentpunkte). Ein ähnlicher großer Effekt geht von den Haltungen zu kultureller Vielfalt aus (-17,2 Prozentpunkte). Noch deutlich stärkere Effekte zeigen nur die Links-Rechts-Selbsteinstufung (23,4 Prozentpunkte) und das politische Vertrauen (-22,2 Prozentpunkte).
Um noch sicherer zu gehen, dass es sich tatsächlich um einen kausalen Effekt der populistischen Haltungen zur Demokratie handelt, haben wir die Möglichkeiten ausgenutzt, die uns die Wiederholungsbefragung bietet. Die Befragten wurden im Juni/Juli 2015, d. h. ein Jahr vorher, schon einmal zu ihrer Wahlabsicht befragt. Über diese Angaben konnten wir ermitteln, wer ein Neuwähler der AfD ist. Es könnte ja sein, dass Bürger die Haltungen ihrer präferierten Partei zu demokratischen Entscheidungsverfahren übernehmen, diese Partei aber eigentlich aus anderen Gründen gut finden. Diese Möglichkeit können wir weitgehend ausschließen; denn es zeigt sich, dass wir mit dem Populismus-Index auch „prognostizieren“ können, wer zu einem neuen Unterstützer der AfD geworden ist und wer nicht.
Unseres Erachtens sind diese Befunde insofern bedeutsam, als sie zeigen, dass der Wettbewerb der Parteien um Wählerstimmen nicht nur von Sachfragenpositionen geprägt ist, sondern auch davon, dass Parteien an unterschiedliche Vorstellungen appellieren, wie in einer Demokratie entschieden werden sollte. Gewissermaßen zeigt sich, dass der Verfahrenskonsens über demokratische Entscheidungsprozeduren brüchig ist. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Erfolgschancen einer populistischen Mobilisierung durch Parteien auch von der Verbreitung spezifischer Demokratievorstellungen in der Bevölkerung abhängen. Vor diesem Hintergrund scheint es lohnenswert weitere Forschung dazu zu betreiben, von was die „populistischen“ Demokratievorstellungen wiederum selbst beeinflusst sind.
[1] Univ.-Prof. Dr. Claudia Landwehr, Professorin für Politik und Wirtschaft, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Politikwissenschaft, 55099 Mainz, landwehr@politik.uni-mainz.de
Dr. Nils D. Steiner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Politikwissenschaft, 55099 Mainz, steiner@politik.uni-mainz.de.