Von Dennis Spies
In einer Studie zeigen Dennis Spies und Alexander Schmidt-Catran, dass die individuelle Einstellung zu Sozialleistungen maßgeblich vom regionalen Ausländeranteil bestimmt wird. Dies weist auf eine ablehnende Haltung der Bevölkerung in Bezug auf Sozialleistungen für Einwanderer hin, die auch in der Debatte um die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien eine große Rolle spielt.
Die aktuelle Debatte um die „Armutszuwanderung“ aus Rumänien und Bulgarien kreist um eine Frage, die auch die politikwissenschaftliche Forschung beschäftigt: Führt mehr Migration zu mehr Sozialausgaben? In der medialen Öffentlichkeit wurde sich der Frage zunächst genähert, indem darüber debattiert wurde, ob Zuwanderer diese Leistungen zu einem höheren Anteil als die einheimische Bevölkerung in Anspruch nehmen. Doch bald kam eine weitere Frage auf, die auch die Politikwissenschaft beschäftigt: Wie reagieren Wohlfahrtsstaaten auf steigende Zuwanderung?
Die Beantwortung der ersten Frage hängt stark vom Qualifikationsniveau der Zuwanderer ab. Dieses bestimmt – wie auch bei der einheimischen Bevölkerung – sehr stark die Abhängigkeit von Sozialleistungen. Wie Staaten auf Zuwanderung reagieren, wird jedoch nicht nur von diesen Faktoren abhängen, sondern auch von der öffentlichen Meinung. Wie langjährige Forschung gezeigt hat, hat die (wahrgenommene) Migration einen starken Einfluss auf die Einstellung zum Wohlfahrtsstaat und zu Sozialleistungen. Migranten werden im Durchschnitt als weniger motiviert und arbeitswillig gesehen, weshalb Sozialleistungen für sie als weniger angebracht beurteilt werden. Sozialleistungen werden also nicht per se abgelehnt, sondern nur für eine bestimmte Gruppe. Dieser „Wohlfahrtschauvinismus“ prägt auch die aktuelle Zuwanderungsdebatte. Im Gegensatz dazu kann es auch der Fall sein, dass Migration die Zustimmung der Bevölkerung zum Wohlfahrtsstaat generell vermindert. Dieser aus den USA bekannte Zusammenhang sollte vor allem dann auftreten, wenn die einheimische Bevölkerung glaubt, dass Sozialleistungen ganz überwiegend nur Einwanderern zu Gute kommen.
Die aktuelle Zuwanderungsdiskussion verdeutlicht die Bedeutung der Einstellungen in der Bevölkerung; Politiker verschiedener Parteien reagierten auf die öffentliche Angst vor „Sozialtourismus“ mit Forderungen nach Sanktionen für Zuwanderer, die das Sozialsystem missbrauchen würden. Bei der Frage, wie Wohlfahrtsstaaten auf steigende Zuwanderung reagieren werden, sollte deshalb unbedingt die öffentliche Meinung betrachtet werden. Dennis Spies und Alexander Schmidt-Catran analysieren den Zusammenhang zwischen regionalem Ausländeranteil und Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat in Deutschland. Ihre Studie verwendet Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) von 1994 bis 2010. Die Daten erlauben außerdem eine Zuordnung zu Regionen, sodass lokale Maße zum Anteil von Migranten und der Arbeitslosenquote genutzt werden können. Bisherige, ländervergleichende Studien, die diese Maße auf nationaler Ebene verwenden, konnten keine lokalen Unterschiede berücksichtigen.
Es zeigt sich, dass einheimische Bewohner in Regionen mit hohem Ausländeranteil eine kritischere Einstellung zum Wohlfahrtsstaat haben als solche in Regionen mit geringem Ausländeranteil, wie die folgende Tabelle illustriert:
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Sie zeigt für drei verschiedene Regionstypen mit niedrigem, mittlerem und hohem Ausländeranteil die jeweilige Einstellung der Bevölkerung zu Sozialleistungen: sollen diese gekürzt, gleich behalten oder erhöht werden? Es scheint einen stark positiven Zusammenhang zwischen Ausländeranteil und wohlfahrtskritischen Einstellung zu geben.
Um dies genauer zu prüfen, berechnen die Autoren ein Mehrebenenmodell, d.h. es wird untersucht, welche Faktoren auf der Individualebene (Einkommen, Bildung) und auf der Ebene der Regionen (Ausländeranteil, Arbeitslosenquote) die individuelle Einstellung zum Wohlfahrtsstaat beeinflussen. Es zeigt sich wiederum, dass die Unterstützung für Sozialleistungen sinkt, wenn der Ausländeranteil in einer Raumordnungsregion steigt. Die Arbeitslosenquote beeinflusst die Unterstützung hingegen positiv: je höher sie ist, desto eher gibt es Unterstützung für Sozialleistungen. Der Effekt des Ausländeranteils ist hierbei jedoch ca. 4 mal so stark wie der der Arbeitslosenquote. Diese Effekte sind unabhängig von persönlichen Merkmalen wie eigener Bildung, Einkommen und eigener Arbeitslosigkeit.
Der Effekt des Ausländeranteils und der Arbeitslosenquote sind hierbei nicht unabhängig voneinander. Der negative Effekt des Ausländeranteils wird bei einer höheren Arbeitslosigkeit noch verstärkt. Dies ist überraschend, da der Effekt der Arbeitslosenquote an sich ja positiv war. Es scheint, dass in strukturschwachen Regionen, die eigentlich eine höhere Unterstützung für Sozialleistungen aufweisen, diese Unterstützung sinkt, wenn sich der Ausländeranteil erhöht.
Wie bereits erwähnt, beeinflusst eine Veränderung des Ausländeranteils über die Zeit hinweg in einer Raumordnungsregion die Unterstützung für Sozialleistungen. Das allgemeine Niveau des Ausländeranteils tut dies jedoch nicht, d.h. zwischen Regionen mit unterschiedlichen Ausländeranteilen gibt es keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Befürwortung von Sozialleistungen. Das Gleiche gilt für die Arbeitslosenquote. Kurzfristige Veränderungen über Zeit sind somit sehr erklärungskräftig – Niveauunterschiede sind es jedoch nicht.
Die Ergebnisse verdeutlichen die starke Wirkung der Präsenz von Migranten auf die wohlfahrtsstaatliche Unterstützung der einheimischen Bevölkerung in Deutschland. Verschiedene politische Akteure haben dies in der Vergangenheit und auch in der aktuellen Zuwanderungsdebatte genutzt, um Argumente gegen Zuwanderung vorzubringen und teilweise fremdenfeindliche Äußerungen zu tätigen. Vor diesem Hintergrund scheint es notwendig, sich gründlich und fundiert mit Zuwanderung und ihren Folgen für die Sozialausgaben in Deutschland zu beschäftigen, auch um bestehenden Vorurteilen bezüglich der Abhängigkeit von Sozialleistungen unter Migranten zu begegnen.